Peter Kowald Gesellschaft/ort e.V.

ort Luisenstr. 116, 42103 Wuppertal



PEITZ UND DER FEUERSCHLUCKER VOM CENTRE POMPIDOU



ausserdem Ulli Blobel • Uwe Kropinski_Joe Sachse


EPISODE STEVE LACY
1981 in einem Trabant auf der Fahrt vom Hotel zum Kino in Peitz, gemeinsam mit dem Sopransaxofonisten Steve Lacy und dem Schlagzeuger Detlef Schönenberg. Ich lausche einer Unterhaltung der beiden über das wenige Jahre zuvor eröffnete Centre Pompidou in Paris. Sie sprechen über Kunst, über Ausstellungen, über Musik und über die Akteure auf dem Platz vor dem Centre, das ich damals nur von Fotos kannte. Steve Lacy spricht fasziniert von dem Feuerschlucker. Die Unterhaltung endet mit Lacys unvollendetem Satz: „So viele Möglichkeiten, ein Leben zu äußern …“

GRENZÜBERSCHREITUNGEN
Der von Peter Kowald in den 80er-Jahren für die von ihm initiierten Festivals zentrale Begriff der Grenzüberschreitung erscheint ebenso signifikant wie der der Authentizität, wenn man die Aktivitäten der Jazzwerkstatt Peitz Revue passieren lässt. Die Grenzüberschreitung fand zunächst im Medium des Musikalischen statt – vom Jazz hin zuneuen Ausdrucksmöglichkeiten einer im Entstehen begriffenen improvisierten Musik. Die Begegnung mit den Musikern aus der Bundesrepublik und aus Westeuropa wirkte entprovinzialisierend, entgrenzend. Und die Gedanken, die Gespräche reichten über die Musik hinaus, ganz im Sinne von Charlie Parker, der einmal sagte, „das Reich der Kunst hat keine Grenze“. Schon dadurch, dass auf der Bühne etwas passierte, dessen Ausgang ungewiss war, setzte eine Horizonterweiterung ein. Auf einer Ebene, die sich begrifflich schwer fassen lässt, umwehte diese Spielprozesse in den Zeiten der Ost-West-Konflikte auch etwas vom Geist der Utopie. Irgendwie entzog man sich mit dieser Musik jeglicher Zugehörigkeit. Unausgesprochen bekannte man sich zum Gegner einer von Ost wie West ins Haus fallenden Fernsehunterhaltung, die sich in einem annäherte: in ihrer dümmlichen Belanglosigkeit.
Insofern wohnte der Zugehörigkeit zum Kreis der Free-Jazz-Fans bei aller Bodenständigkeit auch etwas Elitäres inne. Mitunter schwebte man sogar etwas über dem Boden auf einer Klangeuphorie. Zu den Pflichtveranstaltungen der Fan-Gemeinde gehörten neben der Jazzwerkstatt Peitz, Konzerten und Festivals in der DDR, die alljährlichen Reisen zum Jazz Jamboree nach Warschau, zum Jazzfestival nach Prag (zumindest 1982, dem Jahr, in dem Sonny Rollins dort spielte) und, für einen kleineren Kreis, auch der Besuch der Jazztage in Debrecen, wo durch den guten Kontakt zwischen Ulli Blobel und Imre Kiss, dem Festivalleiter und Produzenten bei Magyar Rádió, Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre auch Musiker und wurden. So wichtig diese Reisen auch waren – die entscheidenden „Entgrenzungen“ fanden im Denken statt, in der gedanklichen Überschreitung der DDR-Provinzialität, oftmals ausgelöst durch Begegnungen im Inland. Free Jazz als Versprechen auf eine wie auch immer, aber in jedem Falle anders geartete Zukunft. Mit dem Zusammenbruch der DDR verloren diese Klänge an Nebenbedeutungen, an politischen Obertönen und subkulturellen Bordunklängen. Das kann man – je nach Betrachtungsweise – als Verlust oder Gewinn verbuchen. Was die weitere Entwicklung anbelangt, so hat sich Free Jazz als Methode, nicht als Stil (der er ja nie war), als lebensfähig erwiesen, obwohl sich ohne jeden Zweifel im Laufe der Zeit auch Klischees eingeschlichen haben, die es neu zu durchbrechen gilt.
Die Jazzwerkstatt Peitz fiel mit einer Phase dieser Musik zusammen, in der sich diese im Aufblühen befand. Und das Gefühl, gewissermaßen die Welt zu Gast zu haben, wirkte wie ein Antidepressivum in einer eingemauerten Situation, wie ein virtueller Sprung über Grenzen. Ich wusste damals, man lässt mich nicht zum Centre Pompidou reisen, aber ich wusste zugleich von Steve Lacy, es gibt dort einen Menschen, der sich auf seine Art authentisch mitteilt: einen Feuerschlucker.


Lesereise-Termine:
WOODSTOCK AM KARPFENTEICH
SUBKULTUR HINTER DEM EISERNEN VORHANG

Berlin, 8. April, jazzwerkstatt Café
Lesung aus dem Manuskript: Ulli Blobel, Bert Noglik • Friedhelm Schönfeld Trio
Potsdam, 28. April, Nikolaisaal,
Ulli Blobel, Christoph Dieckmann • Uwe Kropinski/Joe Sachse
Bremen, 29. April, jazzahead Messe
Ulli Blobel • Uwe Kropinski/Joe Sachse
Dresden, 5. Mai, Jazzclub Neue Tonne
Ulli Blobel, Ulrich Steinmetzger • Uwe Kropinski/Joe Sachse
Berlin, 10. Mai, DDR Museum
Ulli Blobel, Stefan Wolle • Uwe Kropinski/Joe Sachse
Halle, 18. Mai, Objekt 5
Ulli Blobel, Bert Noglik • Uwe Kropinski/Joe Sachse
Leipzig, 19. Mai, Moritzbastei, Ratstonne
Ulli Blobel, Bert Noglik• Uwe Kropinski/Joe Sachse
Chemnitz, 20. Mai, Schönherrfabrik
Ulli Blobel, Bert Noglik • Uwe Kropinski/Joe Sachse
Glauchau, 25. Mai, Schloss Forderglauchau, Ulli Blobel, Günter Baby Sommer • Gumpert-Sommer Duo
Jena, 26. Mai, Jazzclub Jena
Ulli Blobel, Günter Baby Sommer, Dr. René Theska, Christoph Dieckmann • Gumpert-Sommer Duo
Wuppertal, 4. Juni, Ort
Ulli Blobel • Uwe Kropinski/Joe Sachse