Peter Kowald Gesellschaft/ort e.V.



Udo Moll_trumpet, harmonium, live-electronic
Matthias Muche_
trombone, raagini, melodica
Sebastian Gramss _
bass, melodica



das mollsche gesetz wurde im Sommer 2004 gegründet als improvisatorisches Forschungsprojekt.
Die beiden massgeblichen Gesetze, die seither gelten, lauten:
1. kein Stück dauert länger als 60 Sekunden
2. auf jedes Stück folgt eine Pause in derselben Länge (wie das Stück...)
Diese ebenso einfachen wie radikalen Regeln verändern die Art und
Weise, wie Musik entsteht, aber auch wie sie vom Publikum wahrgenommen
wird, massiv. Auf der Bühne fordert dieses Format größtmögliche
Klarheit, Pointierung, schnelle Entscheidung – im Auditorium fordert es
eine starke Fokussierung auf den Moment (die wahrgenommene Gegenwart
dauert 30 Sekunden) und erhöht die Irritierbarkeit – Irritierbarkeit
als Schärfung der Sinne. Die Pausen laden dazu ein, den Fokus von ganz
scharf auf unendlich zu stellen, sie sind die Resonanzräume in der Zeit.
Raoul Mörchen (WDR) schreibt über catalogue of improvisation :
Um wenig wurde in der Musik so viel Lärm gemacht wie um die Stille. Dabei gibt es sie eigentlich gar nicht. John
Cage selbst, der 1952 mit seinem berühmten 4’33“ die ganze Diskussion erst angestoßen hat, bemerkte in einem
vermeintlich schalltoten Raum, dass er immer noch das Brummen seines Blutkreislaufs und das leichte Pfeifen
seines Nervensystems wahrnehmen konnte. So ist denn auch schon 4’33’’, die Mutter aller musikalischen Stillen,
ganz und gar nicht lautlos. Während ein Musiker auf der Bühne 4 Minuten und 33 Sekunden keinen einzigen Ton
spielt, hört man eine ganze Menge: Den eigenen Atem, eine Klimaanlage vielleicht, das Rascheln neben und das
Husten hinter einem. Stille ist eine Idee, kein Zustand.
Daran kann auch Autorität nichts ändern. Udo Moll, Matti Muche und Sebastian Gramss, die Erfinder und
Vollstrecker des Mollschen Gesetzes, lassen sich auf ermüdende Grundsatzdebatten klugerweise gar nicht erst
ein. Wenn, so der erste Paragraph des Gesetzes, maximal 60 Sekunden lang Musik gemacht wird, folgt, so sagt
der zweite Paragraph, eine gleichlange Pause. Und eben keine Stille. Die Musik hört einfach auf und wartet. Oder
besser: sie schweigt. Das schöne deutsche Wort „Schweigen“ drückt eigentlich ziemlich genau aus, um was es
geht: Es geht darum, sich zurückzuhalten, Platz zu machen, Zeit zu gewähren. Bloß für was?
Wenn Moll, Muche, Gramss und ihre Gäste nach kurzer Tat die Instrumente absetzen, wird man vielerlei gewahr.
Zunächst wohl, wie lang eine Minute sein kann. Vor allem dann, wenn man wartet, wartet auf das nächste Stück.
Das gesetzlich verordnete Schweigen ist gleichwohl alles andere als vertane Zeit, sie ist, wenn man so will,
gänzlich erfüllt, nämlich mit Nachhall und Erwartung: was war gerade, was mag kommen? Schon die allererste
Pause setzt solch ein Fragezeichen. Der Start der für Musiker und Publikum gleichermaßen sichtbaren Stoppuhr
bringt nicht etwa augenblicklich die Musik in Gang, sondern ist Auftakt der ersten Pause. Vielleicht ist sie sogar
die wichtigste von allen, macht sie doch unmissverständlich klar, dass die Pausen nicht bloß Lücken sind, die ein
Kontinuum unterteilen, sondern gewissermaßen Erlebniseinheiten eigenen Rechts. Und sie sind, nun doch ganz
im Sinne Cages, durch und durch musikalisch, bloß spielt diese Musik nicht auf der Bühne, sondern im
gedanklichen Innenraum des Publikums.
Man täte aber dem Mollschen Gesetz selbst ein Unrecht, wenn man es auf den zweiten Paragraphen reduzieren
würde. Das Gesetz regelt schließlich nicht nur die Zeit, in der keine Musik, sondern auch die Zeit, in der sehr
wohl Musik gespielt wird. Der Freiraum, den das Gesetz den Musikern zur eigenen Gestaltung gewährt, scheint,
anders als im Fall der Pause, jedoch verhältnismäßig eng bemessen. Nicht mehr als 60 Sekunden pro Stück, zu
wenig, um Musik zu machen? Mitnichten, wie man hört! Mit und in 60 Sekunden kann man sehr viel anstellen,
allein oder zu zweit, dritt, viert oder fünft hier und dorthin gehen, sich lange vorsichtig beschnuppern oder
gleich gemeinsame Sache machen. Und man kann all das sogar tun, ohne sich zu hetzen. Moll und seine
Gesetzeshüter sind nirgends in Eile. Man ist eher überrascht, wie viel Zeit sie sich lassen, obwohl doch scheinbar
so wenig nur genehmigt wird.
Vielleicht, so mag man in einer der vielen Pausen denken, ist der freie Mensch und Musiker ja gar nicht der, der
ohne Gesetze lebt. Sondern der, der sich im Gesetz so bewegt, als gäb es gar keins.


Bisherige Programme:
„Haikus aus dem Werkzeugkasten“ mit Oliver Urbansky (Berliner Ensemble) für Deutschlandradio Kultur (2005) in Berlin
„Heines Sklavenschiff“ mit Matthias Scheuring (sprecher), Negron, Orozco (videokunst) für das Heine-Schumann-Jahr
2006 , Kunsthalle Düsseldorf
„Köln-Wien-Beirut“ beim Moers-Festival 2006
„REDUX“ - Bearbeitungen von Beethoven, Schumann, Messiaen, für das FRISCHZELLE-Festival 2006 in Köln und Bonn
(Beethovenfest), gefördert von SK-Stiftung Kultur
„catalogue of improvisation 2007“ - eine 6-teilige Konzertreihe mit den Gästen : Maria de Alvear, John Tilbury, Elliott Sharp,
Wolfgang Mitterer, Sidsel Endresen, institut für feinmotorik - gefördert u.a. von Deutscher Musikrat & Siemens-Stiftung
Dokumentation (CD mit Katalog) erscheint 2008 bei wergo
„ZOA - redefining William Blake´s Jerusalem“ mit Wolfgang Mitterer (orgel) und Orozco/Negron für altstadtherbst
kulturfestival düsseldorf 2007


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