Peter Kowald Gesellschaft / ort e.V.

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abgesagt!

FESTIVAL – 3 TAGE VOR ORT 2020
23. – 25. April 2020


Peter Kowald Foto© Hermann Maria Gasser

Peter Kowald, der normaler Weise in der ganzen Welt unterwegs ist, beschließt 1994, ein Jahr lang zuhause in Wuppertal zu bleiben – und Musiker*innen, Tänzer*innen, Künstler*innen aus (fast) der ganzen Welt nach Wuppertal zu holen. Er erklärt das Ganze zur Kunstaktion, nennt es „365 Tage am Ort“ – und schafft damit (was er nicht wissen konnte) ein Ereignis, das legendär geworden ist. Denn die „365 Tage am Ort“ wurden weit mehr als ein ausgedehntes Festival der Künste. Kowald ging es darum, dass das „große Gespräch“, das er immer und überall provozieren wollte, auch zuhause, in der eigenen Stadt, in der Nachbarschaft stattfinden sollte. Nicht Kunstkonsum stand im Mittelpunkt, sondern Begegnung, die zu Bewegung führt – künstlerischer, gedanklicher, zwischenmenschlicher, gesellschaftlicher. Kowalds ORT in der Luisenstraße 116 wurde ein kreatives Kraftzentrum, das bis heute ausstrahlt. Seit Peter Kowalds Tod 2002 hält die Peter Kowald Gesellschaft/ort e.V. den ORT in seinem Sinne lebendig.
Kowalds „365 Tage am Ort“ liefen vom 1. Mai 1994 bis 30. April 1995. Genau 25 Jahre später erinnert die Peter Kowald Gesellschaft/ort e.V. mit ihrem jährlichen April- Festival dieses Mal unter dem Titel „Drei Tage am ORT – 365 ? 25“ an die legendäre Aktion. Auch dieses Mal begegnen sich Kunst Musik, Tanz und Gespräch. Akteure, die schon damals dabei waren, treffen auf andere, Zeitzeugen auf hoffentlich viele Neugierige von heute. Es geht nicht darum, das Gestern zu feiern (naja, ein bisschen schon), sondern den Impuls aufzunehmen und weiterzutragen, auf dass das „große Gespräch“ neu belebt werde.

» MEHR ÜBER PETER KOWALD (eine Kurzbiographie von Anne Reif) »






DONNERSTAG, 23. APRIL 2020
19 UHR
AUFTAKTABEND
mit Ausstellungseröffnung, Gesprächsrunde und Musik

AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
ARBEITEN VON DIEMUT SCHILLING UND BEATRICE CRON

Es spricht: Dr. Anne-Kathrin Reif
Diemut Schilling gehört zu den Künstlerinnen und Künstlern, die bereits Peter Kowalds Aktion „365 Tage am Ort“ 1994 aktiv miterlebt und gestaltet haben. 1992 schloss sie ihr Studium an der Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschülerin von Tony Cragg ab. Seither hat sie an zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen teilgenommen und 37 Kunstprojekte mit partizipativem Charakter im öffentlichen Raum durchgeführt. Seit Februar 2017 arbeitet sie im Duo mit der Künstlerin Beatrice Cron. Beide sind Professorinnen an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft. In jeder ihrer gemeinsamen Arbeiten steckt die malerische Handschrift beider Künstlerinnen. Analog zur literarischen Methode der 1920er Jahre, der „Écriture automatique“, entstehen dabei ihre Bildinhalte aus einem freien, ungeplanten und rein assoziativen Prozess heraus. Dabei bedienen sie sich verschiedener künstlerischer Techniken wie Malerei, Zeichnung, Fotografie oder Videoinstallationen. Im ORT zeigen sie jetzt ganz neue, in jüngster Zeit entstandene Arbeiten. Die Ausstellung ist bis Ende Juni im ORT zu sehen.

MUSIK
MATTHIAS GOEBEL (VIBES) SOLO

Matthias Goebel ist als vielseitiger Musiker ein Grenzgänger zwischen den Stilen – von Klassik über Neue Musik, Rock und Jazz bis zu freier Improvisation. Darüber hinaus ist er bekannt als Komponist, Arrangeur, Organisator, Veranstalter, Dozent und Impulsgeber. Er ist Mit-Initiator und künstlerischer Leiter des Festivals „Spring Vibes“, leitet das Mallet-Institut in Düsseldorf und unterrichtet u.a. an der Musikhochschule Köln/Abteilung Wuppertal und an der Internationalen Musikakademie Anton Rubinstein. Bisher hat er 14 CDs unter seinem Namen veröffentlicht. Konzertreisen führten ihn durch ganz Deutschland und diverse europäische Länder, ebenso wie in die USA, nach China und in die Vereinigten Arabischen Emirate.


******* Pause mit Häppchen *******


20 UHR GESPRÄCHSRUNDE – SCHNEIDEWIND, TRAWNY, SCHILLING, RÜSENBERG
"25 Jahre nach Kowalds 365 Tagen am Ort – Wo sind wir heute? Wo wollen wir hin?"
Eine (multi-disziplinäre) Debatte mit Uwe Schneidewind, Diemut Schilling, Peter Trawny und Michael Rüsenberg

Kowalds „365 Tage am Ort“ waren weit mehr als ein übers Jahr ausgedehntes Festival verschiedener künstlerischer Disziplinen. Kowald ging es immer auch um die Einbettung der künstlerischen Arbeit in die gesellschaftlichen Debatten. Während der „365 Tage“ initiierte er 14 öffentliche Gespräche. Mit Prof. Ernst-Ulrich von Weiszäcker, Gründer und damals Leiter des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, diskutierte er über „Ökologie und Wirtschaft“ – ein Thema, das inzwischen im Zuge des Klimawandels an Brisanz aber auch an Popularität rasant zugelegt hat. Wo stehen wir 25 Jahre später? Welche Art von „Transformationskunst“ brauchen wir, um den notwendigen Wandel gestalten zu können? Und was kann ein (erweiterter Begriff von) Improvisationskunst dabei leisten? Solcherart Fragen diskutiert an diesem Abend der Jazz- und Improvisationsexperte Michael Rüsenberg mit Prof. Dr. Uwe Scheidewind (Leiter des Wuppertal-Instituts), Prof. Dr. Peter Trawny (Philosoph), Diemut Schilling (Künstlerin) und dem Publikum.






FREITAG, 24. APRIL 2020
20 UHR
ort workshop ensemble & Gäste


Wolfgang Schmidtke – Saxofon Roman Babik – Klavier Jan Kazda – E-Bass Maik Ollhoff – Schlagzeug
Gäste:
Gerd Dudek – Saxofon Matthias Muche – Posaune

Die vier Mitglieder des „ort workshop ensemble“ prägen auf unterschiedlichen Ebenen einen Gutteil der Wuppertaler Szene. In ihren eigenen Bands sind sie jeweils auch immer für die komponierten Konzepte verantwortlich. Genau das vermeiden sie bei ihrem Bekenntnis zum „ort“ – dort ist Raum für das freie Assoziieren ihres sonstigen musikalischen Terrains. Seit dem ersten Zusammentreffen 2014 gab es immer wieder Kontakte mit anderen Künstlern, mal mit dem Schauspieler Bernd Kuschmann, mal mit dem Künstler/ Gitarristen Eugen Egner, mal mit der ort-artist in residence Silke Eberhard.Für das diesjährige Festival wählten die Vier zwei Bläserkollegen aus Köln als Partner. Gerd Dudek darf, besser muss, als Grandseigneur des deutschen Tenorsaxofons bezeichnet werden. Die Kurt Edelhagen Bigband, das Albert Mangelsdorff und das European Jazz Quintett waren wichtige Stationen. In Wuppertal spielte er über Jahrzehnte immer wieder als festes Mitglied des Globe Unity Orchestra. Matthias Muche ist ein vermehrt auftauchender Spieler an der Schnittstelle von Free Jazz und Neuer Musik. Zu seinen Partnern zählen Oxana Omelchuk, Sebastian Gramss und Jeb Bishop. 2004 gründete er mit Sven Hahne das Festival „Frischzelle“ für intermediale Improvisation und Komposition.





SAMSTAG, 25. APRIL 2020
20 UHR
SHORT PIECES

Jean-Laurent Sasportes – Tanz Yves Charuest – Saxofon



Jean-Laurent Sasportes gehörte von 1979 bis 1996 zu den prägenden Protagonisten des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Seit 1996 wirkt er dort als Gast mit und arbeitet freiberuflich international als Tänzer, Choreograf, Schauspieler, Regisseur und Festivalleiter und inszeniert eigene Projekte. Das wesentliche Prinzip des Tanztheaters – den Zusammenhang sichtbar zu machen zwischen dem, wie ein Mensch sich bewegt und dem, was ihn bewegt – hat er auch für seine freie Arbeit übernommen. Mit Peter Kowald verband Sasportes eine langjährige Freundschaft und künstlerische Partnerschaft. Bereits 1989 entstanden in der Zusammenarbeit die ersten „Short Pieces“. Es sind tänzerische Miniaturen, in denen Sasportes mit seinem unverwechselbaren Charakter und tänzerischen Ausdruck traurig-komische, zutiefst anrührende Figuren wie „das Mädchen“, „die Diva“ oder den „inoffiziellen Mitarbeiter“ entstehen lässt. Während die Charaktere und deren Kostüme festgelegt sind, bleiben Choreografie und Musik offen und improvisiert. Nach Kowalds Tod 2002 hat Sasportes die „Short Pieces“ mit verschiedenen anderen Musikern beständig weiterentwickelt.

Duo-Partner an diesem Abend ist der kanadische Saxofonist
Yves Charuest, der damit an intensive frühere Verbindungen nach Wuppertal anknüpft. Er war zusammen mit dem südafrikanischen Schlagzeuger Louis Moholo Mitglied des Peter Kowald Trio, mit dem er in Kanada, den USA und Europa aufgetreten ist. Vor mehr als 20 Jahren holte Kowald ihn nach Wuppertal, wo er mit Hilfe eines kanadischen Stipendiumssechs Monate verbrachte und bei Sasportes wohnte. „Das wird für uns beide ein ganz besonderes Wiedersehen nach langer Zeit“, freut sich Sasportes auf die Zusammenarbeit.
Yves Charuest begann seine musikalische Laufbahn in den 1980er Jahren in Kanada und spielte mit zahlreichen international aktiven Musikern, darunter William Parker, John Betsch und Mathias Schubert. 2015 wurde er während des Montreal Jazz Festival mit dem François-Marcaurelle-Preis geehrt.



******* Pause mit Häppchen *******



In memoriam Global Village Ensemble
Gunda Gottschalk – Violine Xu Feng Xia – Guzheng Peter Jacquemyn – Kontrabass



Xu Fengxia, Gunda Gottschalk und Peter Jacquemyn sind durch die Begegnung und die Zusammenarbeit mit Peter Kowald reich beerbt worden. Der Anfang vielfältiger Kooperationen wurde durch Kowalds „365 Tage am Ort“ 1994 gesetzt. Von1995 bis 2002 gehörten Xu und Gottschalk zum Basistrio von Peter Kowalds Global Village Ensemble, welches Musiker verschiedenster kultureller Herkunft zusammenführte. In Besetzungen vom Trio bis zum Sextett konzertierte Peter Kowalds Global Village in Europa und den USA. Mit Peter Jacquemyn arbeitet Gunda Gottschalk seit 1995 als Duo „e pericoloso sporgersi“, mit Xu Fengxia in verschiedenen internationalen Projekten. Die Verständigung verschiedenster Musikkulturen durch das Zwiegespräch der Improvisation hat sich im Schaffen von Gottschalk, Xu und Jacquemyn seitdem fortgesetzt. 2017 formierten sie sich erstmalig zur „global village“-Instrumentierung mit Violine, Guzheng und Kontrabass. Auf ihrer erfolgreichen China-Tournee im Herbst 2017, auf der sie ihre CD erstmalig präsentierten, haben sie sich mehr und mehr zu einem Gebilde verwoben.

Zur CD-Veröffentlichung des Trios schrieb das Österreichische Magazin Freistil: In Memoriam Global Village ist sohin beides, eine tiefe Verbeugung vor der Person und Kunst Peter Kowalds und zugleich eine Fortführung avancierter Tradition als unwiderstehlich intensives, komplexes, aus vollem Herzen gewachsenes zwölfteiliges Stück Musik, das schöner nicht vorstellbar wäre. Respekt! (felix)

Über ihren Auftritt beim Internationalen Festival Ulrichsberger Kaleidophon 2019 schreibt Andreas Fellinger: Für manch einen ist es gar das highlight des Wochenendes, sicher aber die außergewöhnlichste Performance des diesjährigen Kaleidophons:.(...) sobald die drei ins energetisch höchstverdichtete tutti einstimmen, wackeln die morschen Wände des Jazzateliers. Mit Weltmusik hat das nichts, mit Peter Kowald viel, mit hochintensiver, variantenreicher Impro-Musik alles zu tun.










PETER KOWALD (1944 – 2002) » zurück


©Foto: Hermann Maria Gasser

Peter Kowald wurde am 21. April 1944 im thuringischen Masserberg geboren, wohin
die Wuppertaler Familie evakuiert war. Nach Kriegsende 1945 kehrte die Familie nach
Wuppertal zuruck. Als Schuler auf dem Gymnasium lernt Kowald zunächst Tuba und
spielt in einer Dixieland-Band, bevor er zu „seinem“ Instrument, dem Kontrabass,
fand. Durch die Bekanntschaft mit dem zwei Jahre älteren Saxofonisten Peter
Brötzmann kommt er in Kontakt mit der Fluxus-Szene und dem gerade erst im
Entstehen begriffenen Free-Jazz, den er wesentlich mit prägen sollte. Peter Kowald
zählt seit den 1960er-Jahren zu den Musikern der ersten Stunde, die den
europäischen Jazz weg von amerikanischen Traditionen zur Selbstständigkeit
emanzipierten und etablierte den Kontrabass als Soloinstrument. Seine internationale
Karriere begann 1967 als Mitglied des fur Furore sorgenden „Globe Unity Orchestra“
(u.a. mit Alexander Schlippenbach). Er war an 130 Schallplatten und CD-Aufnahmen
beteiligt. 1984 erhielt er den Von-der-Heydt-Preis der Stadt Wuppertal, 1996 den
renommierten Deutschen Jazzpreis „Albert Mangelsdorff“-Preis. Aufsehen erregte
Mitte der 90er-Jahre sein Projekt „365 Tage am Ort“, als er aus Anlass seines 50.
Geburtstages ein Jahr zu Hause blieb und dort in seinem Haus in der Wuppertaler
Luisenstraße 116 Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Tanzdarbietungen und
Performances organisierte. Seiner Einladung folgten Kunstler von Weltruf und machten
Kowalds „ort“ in der Luisenstraße zu einem kreativen Kraftzentrum, von dem Impulse
in alle Welt ausgingen.

Auf unzähligen Konzerten und Tourneen in ganz Europa, den USA, Afrika, Sibirien und
Japan arbeitete Kowald mit den weltbesten Musikern, Kunstlern und Tänzern
zusammen, so etwa mit den Kunstlern Nam June Paik und A.R. Penck, Butoh-Legende
Kazuo Ohno, mit Pina Bausch (im Film „Die Klage der Kaiserin“), mit dem
Choreografen Joachim Schlömer oder in Theaterproduktionen. Mit seinem Global
Village Orchester, in dem sich Musiker aus buchstäblich der ganzen Welt in
wechselnder Besetzung zusammenfanden, lebte er ein gleichermaßen musikalisches
wie menschliches Ideal einer weltoffenen, weltumspannenden und schrankenlosen
Humanität.

Peter Kowald, der rastlos Reisende, war gleichwohl zeitlebens in Wuppertal tief
verwurzelt. Mit seinen weltweiten Verbindungen, seinen unermudlichen Aktivitäten,
seinem Engagement und kritischen Geist hat er diese Stadt und ihr Kulturleben
wesentlich mit geprägt. Er hat Menschen miteinander ins Gespräch gebracht,
Begegnungen gestiftet und wunderbare, Grenzen sprengende Musik- , Kunst-,
Tanzerlebnisse ermöglicht. Die Aktionen 360°/Spielraum fur Ideen,
„Grenzuberschreitungen“, die Gestaltung des musikalischen Nachtprogramms bei den
Internationalen Festivals des Wuppertaler Tanztheaters Pina Bausch oder die bis heute
bestehende Reihe „Music is an open Sky“ sind nur einige wenige seiner zahllosen
Aktivitäten, die bis heute in Erinnerung geblieben sind.
New York, wo er in einer Kooperative im schwarzen Stadtteil Harlem eine Wohnung
besaß, war ihm neben Wuppertal zur zweiten Heimat geworden. Dort ist Peter Kowald
am 21. September 2002 völlig uberraschend verstorben.

Anne-Kathrin Reif